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Mitgelaufen

Christoph Werner

Das Buch „Mitgelaufen“ ist nicht wie andere Bücher über das Leben in der DDR. Hier liegt nicht der Fokus auf Mangelwirtschaft, einer allmächtigen Partei und der Staatssicherheit. Der Autor ist auch kein Opfer des Regimes, dem schreckliches widerfahren ist. Er gehört zu der großen Masse derjenigen, die sich als Rädchen im Mechanismus der DDR-Diktatur gedreht haben. Christoph Werner bricht mit seinem Buch das Schweigen der Mitläufer. Er stellt sich seiner eigenen Vergangenheit und dem Wissen, dass er selbst durch seine Zurückhaltung oder auch lautstarke Zustimmung das alte System lange am Leben erhalten hat. Jahrzehnte nach dem Mauerfall eröffnet er damit vor allem der heranwachsenden Generation, welche die DDR nur noch vom Hörensagen kennt, einen ganz neuen Blickwinkel auf ihre Geschichte.

Ohne Anklage und ohne den Versuch der Rechtfertigung wagt er eine kritische Betrachtung aus dem eigenen Erleben und gewährt Einblicke in eine vergangene Zeit.
Möge der Leser nicht mit dem Zeigefinger auf ihn zeigen, sondern sich fragen, wie oft er heute selbst dem Mainstream folgt oder mutig zu sich selbst und seiner Meinung steht.

Olga, Königin von Württemberg

Olga, Königin von Württemberg

Florian Russi

Das Schicksal einer Zarentochter

So verlief Heiratspolitik in den Herrscherhäusern: Nachdem Zar Nikolaus I. (1796-1855) für seine älteste Tochter Maria „nur" einen gewöhnlichen Adeligen ohne Thronfolgeaussichten als Ehemann gefunden hatte, musste es für seine zweite Tochter Olga (geb. 1822) unbedingt ein regierender Fürst oder Thronerbe sein. Deshalb wurde in ganz Europa gesucht, geprüft, verhandelt und gefeilscht und schließlich die Prinzessin nach politischem Kalkül und ohne Rücksicht auf ihre Gefühle unter die Haube gebracht. Olga, um deren Schicksal es dabei ging, wurde nicht einmal gefragt oder vorher informiert. Viele Jahre hatte die hübsche Prinzessin geglaubt, dass der für sie ausersehene Ehegatte der gut aussehende Habsburger Kronprinz Stephan sei. Es gab auch einen Mann, den sie liebte, nämlich den Prinzen Alexander von Hessen (1823-1888). Er war der Bruder von Marie, der Ehefrau des späteren Zaren Alexander II. und damit Olgas Schwager, und er lebte am Zarenhof in Petersburg. Doch wurde er Olgas nicht für würdig befunden. Man tröstete ihn damit, dass er die hübsche Gräfin Julia Hanke heiraten durfte. So wurde er zum Stammvater des Geschlechts Battenberg, englisch: Mountbatten, und zum Vorfahr von Prinz Philipp, dem Ehemann der Königin Elisabeth II. von England.
Villa Berg, Westfassade (um 1876)
Villa Berg, Westfassade (um 1876)

Die schöne Olga aber wurde mit dem württembergischen Thronfolger Karl, Sohn des Königs Wilhelm I. (1781-1864) verheiratet. Die Ehe soll zu keiner Zeit glücklich gewesen sein. Die Charaktere des Paares waren offenbar nicht in Übereinstimmung zu bringen. Karl war schüchtern, in sich gekehrt, verschlossen und fühlte sich eher zu Männern hingezogen, Olga energisch, aktiv und zupackend. Auf ihre Initiative hin fand 1857 in Stuttgart ein Treffen zwischen dem Franzosenkaiser Napoleon III. und dem russischen Zaren, ihrem Bruder Alexander II., statt. Bei diesem sog. Stuttgarter Zwei-Kaiser-Treffen schlossen Russland und Frankreich nach dem 1856 beendeten und von Russland verlorenen Krimkrieg Friedensvereinbarungen zum Nachteil der Habsburger Monarchie Österreichs.

Einig waren sich Olga und Karl in der Abneigung gegen die deutschen Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II., deren Militarismus sie beide ablehnten. Karl warf den beiden Preußen vor, dass sie im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und auch danach übermäßig auf württembergische Soldaten zurückgegriffen hätten.

Olga von Württemberg mit ihrem Ehemann Karl von Württemberg und ihrer Adoptivtocher Wera
Olga von Württemberg mit ihrem Ehemann Karl von Württemberg und ihrer Adoptivtocher Wera

Ansonsten verliefen die Beziehungen zwischen dem Königspaar äußerst heikel. Hinzu kam, dass sich Olga mit ihrem Schwiegervater, König Wilhelm I., nicht gut verstand. Als sie sich einen Wunschtraum erfüllte und die repräsentative „Villa Berg" errichten ließ, lehnte Wilhelm die Baupläne ab, weil sie nicht dem von ihm bevorzugten klassizistischen Stil entsprachen. Den Bau ließ er nur durchgehen, weil er unterstellte, dass die hohen Kosten vom reichen russischen Zarenhof getragen würden. Darin hatte er sich allerdings gründlich geirrt, was seine Abneigung gegen Olga noch erheblich verschärft hat.

Die Ehe von Olga und Karl blieb ohne eigene Kinder. Die beiden adoptierten 1870 die damals 16-jährige Großfürstin Wera, eine Nichte Olgas, und lebten meist voneinander getrennt. Was also blieb der missachteten Olga, die von Haus aus so sehr verwöhnt gewesen war? Sie wandte sich sozialen Projekten zu und bewirkte damit, dass ihr Name in Stuttgart und Umgebung eine hohe Bedeutung behielt. Sie initiierte, förderte und begleitete mehrere wohltätige Einrichtungen, so das erste Kinderkranhaus in Stuttgart, das heute den Namen „Olgahospital" trägt und im Volksmund „Olgäle" genannt wird. Es wurde zum größten Kinderkrankenhaus in Deutschland. Auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge hat sie sich engagiert. Sie förderte u.a. die Ausbildung von weiblichen Jugendlichen und beehrte auch den Unterricht von Eduard Mörike mit ihrem Besuch. 

Olga starb mit 70 Jahren, am 30. Oktober 1892, ein Jahr nach ihrem Ehemann, in ihrem Witwensitz in Friedrichshafen am Bodensee. Ihr Leichnam wurde in der Gruft der Stuttgarter Schlosskirche neben dem ihres Ehemanns beigesetzt.

Was also war das Ergebnis der monarchischen Heiratspolitik? Die Verbindung zwischen dem Haus Württemberg und dem Zarenhof hatte keine nachhaltigen Auswirkungen, und obwohl die englische Königin Victoria zur Stammmutter vieler Monarchen und zur „Großmutter Europas" geworden war, erklärten sich ihre Enkel im Jahr 1914 gegenseitig den Krieg und stürzten ihre Völker in den unsinnigen, brutalen und blutigen 1. Weltkrieg, der für die europäische Geschichte weitere furchtbare Folgen nach sich zog.

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- Vorschaubild: Porträt der Kronprinzessin Olga von Württemberg, geb. Großfürstin von Russland.Gemälde von Franz Xaver Winterhalter ca. 1856 (Ausschnitt)
- Bild oben rechts: Olga Nikolaevna von Württemberg. Gemälde von Nicaise De Keyser, 1848
- Bild mitte links: Olga von Württemberg mit ihrem Ehemann Karl von Württemberg und ihrer Adoptivtocher Wera Konstantinowna Romanowa
- Villa Berg, Westfassade, Ansicht von Nordwesten um 1876.Photographische Ansicht von Friedrich Brandseph.
- Bild unten links: Olga, Königin von Württemberg, ca 1890 (unbekannter Künstler).

Bildquellen: alle Wikimedia Commons

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