Eduard Mörike
Ulrike Unger
Landpfarrer und Poet des Geheimnisvollen
"O Leben! o Tod! Rätsel aus Rätseln! Wo wir den Sinn am sichersten zu treffen meinten, da liegt er so selten, und wo man ihn nicht suchte, da gibt er sich auf einmal halb und von ferne zu erkennen, und verschwindet, eh man ihn festhalten kann!"
(Aus Mörikes Roman »Maler Nolten«)
Das Bild vom Dorfpfarrer Eduard Mörike, der in der schwäbischen Idylle romantische Gedichte schrieb, kursiert bis heute. Aber es wird ihm nicht gerecht. Er war kein Epigone, auf dem das Erbe von Klassik und Romantik lastete, sondern entwickelte seinen eigenen abgründigen Stil, der ihn zu einem der bedeutendsten Dichter des 19. Jahrhunderts macht.
Zum Pfarrer hat er sich nie tauglich gefühlt und die „Vikariatsknechtschaft", wie er seinen Vorbereitungsdienst bitter nannte, hat er nur aus Vernunftgründen über sich ergehen lassen. Auch danach war das Pfarramt für Mörike eher missliebiger Brotberuf denn wahre Erfüllung. Seine Leidenschaft gehörte dem Schreiben. Mörike war in der Seele ganz und gar Literat und konnte sich zeit seines Lebens doch nie dazu entschließen den entbehrungsreichen Weg des freien Schriftstellers zu gehen. Dafür hatte er womöglich eine zu sensible Psyche, mobilisierte er zu wenig Selbstvertrauen, fehlte ihm die nötige Portion Wagemut.
Die politischen Umstände hätten eine von gesellschaftlichen Zerrüttungen und aufrührerischen Taten geprägte Existenz problemlos hergegeben. Doch Mörike war weder Barrikadenkämpfer noch politischer Autor. Das Los seiner Freunde Ludwig Uhland, Ernst Friedrich Kauffmann oder des Bruders Karl, der ein Jahr lang auf dem berüchtigten Hohenasperg eingekerkert war, wollte er nicht riskieren. Mörike registrierte wohl aber sehr genau die Umbruchszeit, in der er sich befand. Stets hatte er einen wachen Blick für das tagesaktuelle Geschehen, für die Vorkommnisse und Entwicklungen in Gesellschaft und Politik. Zwischen Karlsbader Beschlüssen und der Märzrevolution von 1848 war er einem steten Wechselbad der Gefühle von Sympathie und Antipathie gegenüber den liberalen Bestrebungen und den alten monarchischen Kräften ausgesetzt.
Eduard Mörike, Lithografie von Bonaventura Weiß, 1851
Die in der Kindheit entstandene Nähe zum Königshaus Württembergs spielte später eine nicht unwesentliche Rolle für Mörikes ambivalente Haltung zu den historischen Veränderungen seiner Epoche. Eine klare Stellung bezog er nie. Je nach Standpunkt kann man das Mörike als fatalistische oder vernünftige Handlung anrechnen. Er schützte auf diese Weise seine Familie; die verwitwete Mutter, die unverheiratete Schwester, später Frau und Töchter. Und er fand seine eigenen Möglichkeiten, den schweren Gedanken im Kopf Ausdruck zu verleihen. Denn der inneren Zerwürfnisse gab es genug, die das Leben des Pfarrers wider Willen mit Konflikten, Verzweiflung, Anspannung und letztlich Resignation durchzogen. Etwa der frühe Tod seiner Freunde Wilhelm Waiblinger und Ludwig Bauer aus der Tübinger Studienzeit. Zudem starb der jüngere Bruder August 1824 aus ungeklärter Ursache, wahrscheinlich durch Suizid. Viele Jahre plagten den Dichter Geldsorgen.
1804 wurde Eduard Mörike als siebtes Kind eines Medizinalrates des Württembergischen Hofes und einer Pfarrerstochter in Ludwigsburg geboren. Nach dem Tod des Vaters zog die Familie 1817 nach Stuttgart. Mörike besuchte das Gymnasium, danach das Theologische Seminar in Urach und studierte im Anschluss Theologie in Tübingen. Er war ein Rastloser, der häufig umzog oder sich von einer Pfarrei in die andere versetzen ließ. Dabei ist Mörike selten außerhalb des badischen und württembergischen Raumes gereist. Die großen Künstlerzentren Italien, London oder Paris hat er nie gesehen. Nach unzähligen Ortswechseln als stellvertretender Pfarrer, unter anderem in Möhringen und Köngen, erhielt er 1834 ein Pfarramt in Cleversulzbach. Im Alltag und im Beruf ließ er sich vor allem seine kritischen Gedanken zur christlichen Religion nicht anmerken, diese besprach er bestenfalls in dem beachtlichen Kreis intellektueller Freundschaften, den er sich über die Jahre geschaffen hatte. Zu diesem gehörten Moritz von Schwind, Justinus Kerner, Gustav Schwab, Theodor Storm, Paul Heyse, Gottfried Keller sowie Iwan Turgenjew. Von weltferner provinzieller Monotonie kann bei Mörike also keine Rede sein.
Der Dichter verstarb 1875 in Stuttgart. Sein Werk blieb ein übersichtliches, jedoch nicht ohne den schätzenswerten Tiefgang, der darin zu finden ist. Was ist es, was in der Gegenwart an Eduard Mörikes Lyrik und Prosa fasziniert?
Seine Texte befinden sich oft in einer geheimnisvollen Schwebe, aus der Irritation und Unbehagen hervorscheinen. In Mörikes Gedichten, mehr aber noch in seinem einzigen Roman „Maler Nolten", klingen Ahnungen, finstere Vorhersehungen an, die sehr moderne ästhetische Vorstellungen inhaltlich und formell zum Ausdruck bringen. Die Vielschichtigkeit seiner Werke erstaunt: Das Spiel mit wunderbaren und märchenhaften Gegenwelten, durch die atmosphärisch dichte Seelenlagen und Stimmungen kreiert werden. Der kunstvolle Einsatz der letzten Ausläufer der Romantik, die dem Leser Arglosigkeit vorgaukeln, in der er sich in Sicherheit wiegen kann. Doch die Kunst der Täuschung beherrschte Mörike. Sein persönlicher Stil bringt das innere Ringen eines Menschen ans Tageslicht, der behutsam eine qualitativ hochwertige literarische Form zu finden im Stande war.
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